Die Antworten sind aufschlussreich und bekräftigen die Dringlichkeit der VPOD-Forderungen: Es braucht mehr Schutz und bessere Bedingungen für das Personal im Service public. Jetzt, aber auch nach der Pandemie. Das Ausmass des Materialmangels war zumal am Anfang der Pandemie teilweise dramatisch.
Der Schutzmaterialmangel wurde in den vergangenen Wochen in den Medien ausgiebig thematisiert. Die VPOD-Umfrage zeigt das Ausmass der Unterversorgung: 36 Prozent der Angestellten in Alters- und Pflegeheimen und ebenso viele in der Kinderbetreuung beklagten einen Mangel an Schutzmaterial; auch in der Psychiatrie (35 Prozent) und in der Reha (34 Prozent) wurde das Problem von mehr als einem Drittel genannt. Mit je 30 Prozent Nennungen ist die Knappheit auch in den Spitälern und im Sozialbereich enorm. Sie gefährdet die Beschäftigten massiv, denn 30 Prozent der befragten Mitglieder gaben an, bei der Arbeit Kontakt mit Covid-19-Patientinnen und -Patienten zu haben.
Für die Kitas und die übrigen Felder des Sozialbereichs gilt: Beratung lässt sich vielleicht per Telefon oder Video realisieren – Betreuung aber braucht Nähe. 2 Meter Distanz sind oft nicht realistisch. Vor allem in den ersten Wochen gab es auch im Sozialbereich kein oder zu wenig Schutzmaterial, geschweige denn Knowhow über den richtigen Umgang damit. Auch für die Aufgabe, Schutzkonzepte zu erarbeiten, fehlte es am nötigen Support, wie es diese Aussage einer Mitarbeiterin illustriert: «Die Leitung interessiert sich nicht für uns. Sie hat nicht einmal nachgefragt. Im Gegenteil, die Umsetzung des von uns erarbeiteten Krisenszenarios hat sie uns zuerst untersagt, anschliessend und nach vielen Rechtfertigungen teilweise umsetzen lassen. Schutzmaterial gehört jedoch nicht dazu…»
Kurz: Die schwierige Abwägung zwischen dem Schutz der eigenen Gesundheit und der Sorge um Klientinnen und Klienten wird noch immer zu häufig auf die einzelne Mitarbeiterin abgewälzt, gerade im Sozialbereich, wo Arbeitgeber auf die Sorge des Personals um Bewohnerinnen und Klienten zu zählen gewohnt sind. Dies gilt auch für die Kitas, wo viele Befragte unklare, widersprüchliche oder fehlende Regelungen beklagten: «Das Umsetzen bestmöglichster Massnahmen bei der Betreuung wurde uns selbst überlassen. Da hätte ich mehr Vorschläge von der Leitung erwartet. Die Leitung setzte die Priorität nicht auf den Schutz sondern auf Pendenzen.» In der Folge fühlen sich viele Mitarbeitende nicht ausreichend geschützt oder regelrecht «ausgeliefert».
Knapp 12 Prozent aller Befragten gaben an, zu den gefährdeten Personen zu gehören und zur Arbeit aufgeboten zu werden. Dies hauptsächlich mit der Begründung, die Schutzmassnahmen am Arbeitsplatz seien ausreichend. Der VPOD ist sehr erleichtert darüber, dass der Bundesrat diesen Punkt der Covid-2-Verordnung wieder geändert hat. Seit 17. April gilt: Arbeitnehmende, deren Zugehörigkeit zu einer der Risikogruppen ärztlich dokumentiert ist, haben ein Vetorecht, wenn sie eine Arbeit für sich als zu riskant erachten. In diesem Fall bleiben sie bei Lohnfortzahlung zuhause.
Die Arbeitsbedingungen im Gesundheits- und Sozialbereich haben sich durch Corona geändert, weil an einigen Orten plötzlich zu viel, an anderen zu wenig Arbeit vorhanden ist. 17 Prozent aller Befragten gaben an, Minusstunden aufhäufen müssen (obwohl das gesetzlich ausdrücklich nicht vorgesehen ist), während von 15 Prozent Überstunden verlangt werden. 7 Prozent waren mit einem Ferienverbot konfrontiert, 6 Prozent gaben an, neu in 12-Stunden-Schichten arbeiten zu müssen. Der VPOD steht solchen Schichten aus Gründen des Gesundheitsschutzes sehr kritisch gegenüber und fordert ausreichende Ruhezeiten und geregelte Pausen sowie eine unverzügliche Rückkehr zum vorherigen Modus nach dem Ende der Corona-Krise. Nachvollziehbar ist aus Sicht des VPOD, dass fast ein Viertel des befragten Personals seit Ausbruch der Pandemie neue bzw. zusätzliche Aufgaben ausführen muss. Der VPOD fordert auch in diesem Zusammenhang dezidiert, dass diese Veränderungen nach der Pandemie wieder rückgängig gemacht werden. Dabei sind Transparenz und offene Kommunikation erforderlich.
Ein auf den ersten Blick erstaunliches Resultat der Umfrage: Rund drei Viertel der Befragten aus dem Gesundheits- und Sozialbereich gaben an, mit der Kinderbetreuung kein Problem zu haben – da sie kinderlos sind. Mag sein, dass Kinderlose etwas häufiger an der Umfrage teilgenommen haben als Personen mit Kindern. Trotzdem ist der Wert erklärungsbedürftig. Die Vermutung liegt auf der Hand, dass die professionelle Betreuungstätigkeit kaum oder gar nicht mit familiären Betreuungsaufgaben vereinbar ist. Gründe dafür sind die schwer kompatiblen Arbeitszeiten – insbesondere Schichtarbeit in Heimen und Spitälern -, niedrige Löhne und fehlende öffentliche Anerkennung bei gleichzeitiger hoher psychischer und physischer Belastung. Fachkräfte mit eigener Familie wechseln daher den Beruf oder ziehen sich zurück. Es ist zwingend, dass hier grundlegende Massnahmen ergriffen werden, damit diese wichtigen Berufe auch für Personen mit Familie attraktiv werden. Unter anderem braucht es planbare Arbeitszeiten, fixe Schichtpläne für Personen mit Kindern unter 12 Jahren, Vaterschafts- und Elternurlaube sowie bezahlte Betreuungsurlaube, wenn die eigenen Kinder krank sind, ausserdem generell ausreichende Betreuungsschlüssel, so dass auch langjähriges Arbeiten ohne Erschöpfungssymptome möglich ist.
Weitere Informationen:
» VPOD-Sekretärin Bildung und Gleichstellung
» VPOD-Sekretär Sozialbereich
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