Situation in den Regionen

Da jeder einzelne Kanton seine eigene Gesundheitspolitik betreibt, ist es mitunter schwierig, die Auswirkung der Sparprogramme, Privatisierungen und des Wettbewerbs, als einheitliches Muster zu erkennen. Hier jedoch ein Überblick.

Der Blick in die Regionen zeigt: Der systematische Druck auf das Personal ist eine direkte Folge der neuen Spitalfinanzierung

Kanton Aargau

Die Aargauer Kantonsspitäler leiden unter grossem Spar- und Abbaudruck. Sie waren mit einer sanierungsbedürftigen Infrastruktur in die Selbständigkeit entlassen worden und müssen nun sämtliche Erneuerungen und Investitionen aus eigenen Erträgen finanzieren. Andere Kantone haben vor der Verselbständigung ihrer Spitäler zuerst deren Infrastruktur saniert. Zudem werden 2016 die Fallpauschalen mehrere Jahre rückwirkend gekürzt. So müssen die Spitäler Geld zurückzahlen, das sie nicht haben und das sie in die Infrastruktur investieren müssten. Der Kanton will die Fallpauschalen weiter senken bis auf das Niveau eines Regionalspitals, dies, obwohl das Kantonsspital Aarau schweizweit das grösste, nichtuniversitäre Zentrumsspital mit sehr breitem Leistungsauftrag ist. Der Kanton will sich aus Spargründen auch in medizinische Entscheide einmischen und für gewisse Krankheitsbilder eine ambulante Behandlung zwingend vorschreiben. Der Grund: Bei stationärer Behandlung im Spital bezahlt der Kanton die Hälfte der Kosten, während die ambulante Behandlung von den Krankenkassen und damit von den PrämienzahlerInnen getragen wird. Der Kanton treibt so die Krankenkassenprämien weiter in die Höhe. Auch sonst streicht der Kanton Leistungen zusammen. So halbierte er in den letzten Jahren die Abgeltung der gemeinwirtschaftlichen Leistungen (z.B. für Ausbildungskosten, Notfall- und Rettungsdienste). Die Löhne des Personals sind nicht mehr konkurrenzfähig, der Arbeits- und Spardruck demotivierend. In verschiedenen Bereichen fehlt immer mehr Fachpersonal. So werden etwa ärztliche Aufgaben in der Psychiatrie an nicht ärztliches Personal delegiert, weil zu wenige und vor allem keine deutschsprachigen Ärzte mehr gefunden werden können.

Region Basel

Per 1.1.2012 wurden die öffentlichen Spitäler Basel-Stadt und Baselland ausgelagert. Laut den bürgerlichen PrivatisierungsbefürworterInnen war dieser Schritt notwendig wegen der neuen Spitalfinanzierung über Fallpauschalen. Die Spitäler könnten nur als selbständige Unternehmen im Wettbewerb bestehen. Seither stehen die Spitäler finanziell massiv unter Druck: Die gemeinwirtschaftlichen Leistungen der beiden Kantone werden sukzessive gekürzt, und die Fallpauschalen bedeuten, dass bei möglichst tiefen Personalkosten möglichst viele PatientInnen behandelt werden müssen. Die Spitalangestellten arbeiten häufig unter grossem Stress, in zu kleinen Belegschaften und mit gigantischen Überstundenkonti. Die Fluktuation ist hoch, da viele den Beruf wechseln oder krank werden, weil sie die Arbeit unter dem permanenten Zeitdruck nicht mehr verantworten können. Der Privatisierungsdruck forderte im Kanton Baselland ein weiteres Opfer: Die Frauenklinik Bruderholz des Kantonsspitals Baselland wurde per 1.Februar 2016 ans Bethesda-Spital wegprivatisiert. Die Leidtragenden sind die Angestellten, die am Privatspital deutlich schlechtere Arbeitsbedingungen haben, aber ganz klar auch die zukünftigen Patientinnen. Denn das Privatspital erbringt in keiner Weise die gleichen Leistungen wie bisher die öffentliche Frauenklinik. Mit einer sehr hohen Kaiserschnittrate maximiert sie vor allem ihren Gewinn. Diese Privatisierung ist ein anschauliches Beispiel: Nach einer Privatisierung steht nicht mehr die optimale Gesundheitsversorgung im Vordergrund, sondern die Gewinnmaximierung.

Kanton Bern

Zurzeit befinden sich die drei psychiatrischen Kliniken in einem grossen Umbruch. Ab 2017 müssen diese als eigenständige gemeinnützige Aktiengesellschaften funktionieren und teilweise massiv Stellen abbauen, um im Wettbewerb bestehen zu können. Bereits ab der Jahrtausendwende hatte eine erste Spitalstrukturbereinigung zur Schliessung mehrerer Institutionen geführt. Dank eines 2000 in Kraft getretenen GAV für die Berner Spitäler konnten die Umstrukturierungen für die Betroffenen sozialverträglich gestaltet werden. Alle Spitäler auf der Spitalliste müssen entweder den GAV unterzeichnen oder dem Personal gleichwertige Bedingungen anbieten. Seit 2016 ist auch die Insel Gruppe einem GAV unterstellt. Sorgen bereiten die Anstellungs- und Lohnbedingungen trotzdem. Denn seit der Einführung der neuen Spitalfinanzierung leiden die Spitäler unter enormem Kostendruck. Die Löhne vieler Spitalangestellten stagnieren seither, und geregelte und verlässliche Arbeitsbedingungen sind oft nicht mehr als ein Wunschtraum, während Formen von Arbeit auf Abruf schleichend zunehmen. Zudem müssen die Spitäler aufgrund eines Urteils des Bundesverwaltungsgerichtes bis zu 120 Millionen Franken an die Krankenkassen zurückzahlen, da sie angeblich zu hohe Tarife für ambulante Tarife verrechnet hatten. Dies erhöht den Druck zusätzlich und bedroht zurzeit vor allem die Arbeitsbedingungen der Spitalreinigungsfachkräfte.

Region Innerschweiz

Das verselbständigte Zuger Kantonsspital ist zu 99% in Besitz des Kantons und zu 1% in Besitz einer gemeinnützigen Stiftung. Der Kanton hat das Recht, Aktien zu verkaufen, muss jedoch gemäss Gesetz die kapital- und stimmenmässige Mehrheit halten. Immerhin konnte der VPOD mit einem GAV relativ gute Arbeitsbedingungen für das Spitalpersonal sicherstellen. Im Kanton Luzern wurden sowohl die Psychiatrie als auch das Kantonsspital (LUKS) verselbständigt, beide befinden sich noch im Besitz des Kantons. Das LUKS fuhr 2015 einen Gewinn in der Höhe von 45 Millionen Franken ein. Aufgrund der finanzpolitischen Misere zog der Kanton Luzern fast 18 Millionen Franken als Dividenden ab. Um die Gewinne und Dividenden weiter zu steigern, wird im Rahmen des Sparpakets 2017 die Übernahme kleinerer Regionalspitäler und die Umwandlung in eine überregionale Holding anvisiert. Für das Personal bedeutet das, dass sie nicht länger öffentlich-rechtlich angestellt sein werden. Der VPOD Luzern hat gegen die weitere Privatisierung der Spitäler und die drohende Verschlechterung der Arbeitsbedingungen eine Initiative lanciert.

Region Ostschweiz

Im Kanton Thurgau fand die Verselbständigung der Spitäler und psychiatrischen Dienste bereits 1999 statt. 2008 wurde die Spital Thurgau AG schliesslich in die neu gegründete Holding thurmed AG überführt. Der Kanton kann als Alleinaktionär der Spitalgruppe thurmed 49% des Aktienkapitals verkaufen, ohne dass er dafür die Einwilligung des Parlaments oder der Stimmbevölkerung einholen muss. Zur Spitalgruppe gehören unter anderem die Kantonsspitäler. Thurmed muss der Regierung Jahr für Jahr immer höhere Dividenden ausschütten, der Alleinaktionär will es so. Das Thema Privatisierung scheint in der Öffentlichkeit bzw. unter den PatientInnen dermassen unpopulär zu sein, dass bei den Arbeitskitteln des Kantonsspitals Thurgau, welche den Namen der Aktiengesellschaft tragen, das Kürzel AG entfernt wurde.

Kanton Tessin

Kurz vor Weihnachten 2015 präsentierte das Parlament mit dem neuem Spitalgesetz seine Pläne zur umfassenden Restrukturierung der Tessiner Spitallandschaft. Diese beinhaltete die Schliessung ganzer Abteilungen, Auslagerungen bzw. Verselbständigungen in öffentlich-rechtliche Anstalten mit dem Ziel der vollständigen Privatisierung zu einem späteren Zeitpunkt. Der VPOD und andere Parteien haben dagegen das Referendum ergriffen, und das Volk sagte im Juni 2016 tatsächlich Nein zum neuen Spitalgesetz. Dieses erfreuliche Resultat darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Arbeitsbedingungen der nicht im Kader angestellten Personen immer mehr unter Druck geraten und prekärer werden. So hat die Kantonsregierung beschlossen, ihre finanziellen Beiträge an die Tessiner Gesundheitsinstitutionen für das Jahr 2017 zu kürzen.

Region Westschweiz

Der Kanton Genf will das gesamte Gesundheitswesen so weit möglich privatisieren. Das damit verbundene Vorgehen ist immer das gleiche: Sogenanntes Fittrimmen der öffentlichen Institutionen durch drastische Sparmassnahmen. Allein im Universitätsspital HUG sind so in den vergangenen Jahr fast 1‘000 Stellen in der Pflege verschwunden, während die Anzahl schlechter bezahlten Temporärstellen deutlich zugenommen hat. Gleichzeitig gelangen immer mehr Privatkliniken auf die Spitalliste und damit in den Genuss staatlicher Finanzierung. Um dieser Konkurrenz entgegenzuwirken, hat das HUG ihrerseits einen eigenen Privatbereich als Teil der Klinik errichtet und konkurriert nun auf dieser Ebene mit den Privatkliniken. Dagegen haben sich letztere mittels einer Motion im Parlament gewehrt. Im Kanton Fribourg sollen die Arbeitsbedingungen des Kantonsspitals flexibilisiert und die Löhne neu ausgerichtet werden. Damit würde das bisher angewandte kantonale Personalreglement ausgehebelt werden. Nach der Privatisierung der Kinderkrippe könnten zudem weitere Abteilungen/Sparten ausgelagert werden. Im Kanton Neuenburg wurden Spitalstandorte geschlossen bzw. deren Leistungsangebote reduziert, um das Angebot des Kantonsspitals auf den Standort Neuenburg zu konzentrieren. Zudem zeichnet sich eine Verschlechterung der im GAV 21 geregelten Arbeitsbedingungen ab. In der Waadt kommen Privatkliniken auf der Spitalliste für gewisse Leistungsangebote in den Genuss staatlicher Finanzierung, dies obwohl sie schlechtere Arbeitsbedingungen als die öffentlichen Spitäler anbieten. Gleichzeitig steht das Universitätsspital CHUV unter grossem Privatisierungs- und Spardruck. Immer mehr Dienste werden an Privatfirmen ausgelagert, die nicht an öffentlich-rechtliche Arbeitsbedingungen gebunden sind. Im Wallis hat das Spital Wallis den GAV des Spitalpersonals gekündigt, weil es eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und Löhne anvisiert. Im Zuge des (durch eine Fusion) neu entstehenden Spitals Riviera Chablais werden diverse Standorte in den Kantonen Waadt und Wallis geschlossen.

Kanton Zürich

Nach mehreren zum Teil auch vom VPOD erfolgreich bekämpften Privatisierungsvorlagen will die Kantonsregierung nun sowohl das Kantonsspital Winterthur als auch die Integrierte Psychiatrie Winterthur in eine Aktiengesellschaft umwandeln und die Aktien nach Willen des Gesundheitsdirektors Thomas Heiniger möglichst schnell veräussern. Seitens des VPOD ist ein Referendum bereits beschlossen, und auch andere Parteien und Verbände stossen dazu. Die Chancen sind intakt, dass die Bevölkerung eine Privatisierung dieser Gesundheitseinrichtungen verhindert, wie dies bereits bei den Spitälern Limmattal, Affoltern und Uster der Fall war. Auswirkungen hat die Ökonomisierung des Gesundheitswesens aber nicht nur auf die Angestellten der privatisierten Betriebe. Überall wird beim Personal gespart, die Löhne stagnieren, und der Arbeitsdruck steigt kontinuierlich. Jede neue Privatisierung treibt die Logik der Geschäftemacherei im Gesundheitsbereich weiter voran und für alle Angestellten im Gesundheitswesen die Spirale nur noch schneller nach unten.

Auskünfte zu einzelnen Regionen in der deutschen Schweiz und zum Tessin:

VPOD AG/SO

Claudia Mazzocco

062 834 94 35

VPOD Region Basel

Marianne Meyer

061 685 98 95

VPOD Kanton Bern

Bettina Dauwalder

031 372 42 47

VPOD GR

Thomas Hensel

081 284 49 06

VPOD LU

Martin Wyss

041 240 66 16

VPOD Ostschweiz

Maria Huber

071 223 80 24

VPOD Schaffhausen

Kurt Altenburger

052 624 75 60

VPOD SZ/ZG

Natascha Wey

044 266 52 40

VPOD TI

Fausto Calabretta und Stefano Testa

091 911 69 30

091 826 12 78

VPOD ZH

Roland Brunner

044 295 30 22