Gesundheitsversorgung: Personalmangel spitzt sich weiter zu!

Von: Elvira Wiegers

Nach zwei Jahren Pandemie sind die im Notfall tätigen Fachpersonen aller Berufsgruppen konstant übermässig belastet.

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Nun schlägt auch der Berufsverband «Notfallpflege Schweiz» Alarm. Nach zwei Jahren Pandemie seien die im Notfall tätigen Fachpersonen aller Berufsgruppen konstant übermässig belastet. Covid-19 habe nicht nur einen Anstieg an Patient:innenzahlen verursacht, sondern auch zusätzliche Ausfälle innerhalb der Pflegeteams bewirkt. Tatsächlich können die Notfallstationen selbst bei Ausfällen von eigenem Pflegefachpersonal keine Patient:innen abweisen oder ihre Aufnahmekapazität anderweitig reduzieren. Eine von vielen Folgen: Die Fehlerquote hat zugenommen, was die Versorgungsqualität auf Schweizer Notfallstationen zunehmend gefährdet und Wartezeiten von vier und noch mehr Stunden verursachen unnötiges Leid.

Es braucht JETZT Sofortmassnahmen

Der Handlungsbedarf ist gross und er ist dringend. Vor allem muss jetzt alles dafür getan werden, dass die immer noch in ihrem Beruf ausharrenden Fachpersonen nicht den Bettel hinschmeissen.
Als das Spital Wetzikon vor wenigen Monaten als erste Institution die Einführung einer Arbeitszeitreduktion bekanntgab, wurde hinter vorgehaltener Hand gespottet, dass dies nicht ganz durchdacht sein könne. Seither haben weitere Gesundheitsbetriebe diesen Weg eingeschlagen. So gab etwa das Felix-Platter-Spital ebenfalls kürzlich bekannt, die wöchentliche Arbeitszeit zu verkürzen und auch die Siloah- und Lindenhofgruppe entschieden sich für diesen Weg. Bei letzterer können die Angestellte sogar auswählen, ob sie mehr Geld, weniger arbeiten oder mehr Freitage wollen. Die Aargauer Spitäler ihrerseits haben die Zulagen für Wochenend- und Feiertagsschichten deutlich erhöht.

Weitere Gesundheitsinstitutionen werden folgen und Massnahmen gegen die Berufsausstiege und den Personalmangel ergreifen. Doch wird dies schnell und nachhaltig genug passieren?

Streik- und Klagewelle rollt an

Noch immer wird in zahlreichen Gesundheitsinstitutionen die Entgeltung der Umkleidezeit verweigert oder schlecht geregelt. Damit wird noch immer Tausenden von Angestellten einen Teil ihres Lohnes vorenthalten. Grund für über 100 Angestellte des Solothurner Kantonsspitals, eine gemeinsame Klage gegen ihren Arbeitgeber vorzubereiten und für das Personal des Genfers Universitätsspitals HUG, eine Protestaktion durchzuführen. Im Kantonsspital Freiburg wiederum drohen die Fachpersonen Anästhesie mit einem Streik Anfang September, wenn ihre Löhne nicht deutlich erhöht werden.

Der Grossteil der Arbeitgeber setzt leider weiterhin auf den Goodwill des engagierten Gesundheitspersonals und bewegt sich keinen Schritt vorwärts. Angesprochen darauf ist immer wieder zu hören, dass ihnen die Hände gebunden seien und sie das Finanzierungssystem nicht beeinflussen können.

Qualität der Gesundheitsversorgung in Gefahr

Das unzureichende Finanzierungssystem hat Folgen für uns alle, denn eine qualitativ hochstehende Gesundheitsversorgung lässt sich so nicht länger aufrechterhalten. Der Personalmangel führt dazu, dass Betten geschlossen werden und teures Temporärpersonal eingesetzt werden muss, was die Kosten unnötig in die Höhe treibt. Es führt auch zu extremen Wartezeiten in den Notfallstationen und bei verschiedenen Behandlungen und Therapien.

Drei Parteien haben es in der Hand, diesen Teufelskreis zu durchbrechen: die Politik, indem sie das Gesundheitswesen nicht länger der Wettbewerbslogik unterwirft und ein neues Finanzierungssystem beschliesst. Arbeitgeber, die auf der Seite ihrer Angestellten und deren Berufsverbände eine ausreichende Finanzierung einfordern und das Gesundheitspersonal, das seine Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen konsequent einfordert, wenn nötig auch mit einem Streik.

Letzteres geschieht bereits regelmässig und erfolgreich im Ausland, denn die Misere beim Gesundheitspersonal kennt keine Grenzen. Gerade endete etwa in Nordrhein-Westfalen ein elfwöchiger Streik an sechs Universitätskliniken mit einem spektakulären Erfolg für die Arbeitnehmenden. Und in Belgien ist für den Herbst ein landesweiter Streik angekündigt, sollten sich die Arbeitsbedingungen nicht deutlich verbessern. Zeit, sich an diesen Kolleg:innen ein Beispiel zu nehmen!